Rede im Deutschen Bundestag vom 05. Dezember 2025: 30 Jahre Vertrag von Dayton

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© Deutscher Bundestag

Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe meiner Kollegin Deborah Düring versprochen, nicht zu singen; von daher muss ich Sie jetzt mitnehmen in den Bereich der Fantasie.

Erinnern Sie sich an Vučko? Vučko war dieses kleine Wölflein, das 1984 bei den Olympischen Winterspielen in Sarajevo diese Stadt wunderbar repräsentiert hat. Ich würde sein Heulen gerne vortragen, aber es ist Freitagnachmittag, und Sie wollen ja ohne Hörschaden nach Hause. Ich war damals zehn Jahre alt, und dieses Maskottchen trage ich bis heute im Herzen. Es ist eines meiner Lieblingsmaskottchen. Ich war in dieser Stadt ein Jahr zuvor Eis essen – und plötzlich stand Sarajevo im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich als Zehnjähriger stolz wie Bolle war: UdSSR gegen CSSR im Eishockeyfinale. Kati Witt holte Gold; damals war das noch schwierig, weil Deutschland geteilt war. Meine Klassenkameraden fragten: Was willst du mit Eiskunstlaufen? – Aber mir war das völlig wurst.

Keine zehn Jahre später stand Sarajevo wieder im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Es ist schwer, darüber zu reden. Die Scharfschützen haben von den Bergen geschossen, Mörsergranaten sind eingeschlagen, und dieser Krieg hat wirklich viele Familien auseinandergerissen.

Meine Damen und Herren, der Vertrag von Dayton ist ein diplomatischer Erfolg, für den ich immer dankbar sein werde. Aber dieser diplomatische Erfolg hat eben auch Hürden errichtet, und über die müssen wir reden. Deswegen möchte ich gern ein paar Punkte aufgreifen, die von Adis Ahmetovic schon angesprochen wurden.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir Frieden nicht nur als die Abwesenheit von Gewalt betrachten, sondern als die Anwesenheit von Gerechtigkeit. Dieser Satz ist nicht von mir, sondern von Martin Luther King Junior. Wenn wir heute die Leugner des Völkermordes von Srebrenica sehen, dann müssen wir das verurteilen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der Linken)

Lieber Herr Botschafter, das ist eine klare Botschaft: Dieses Haus steht, so hoffe ich es, geschlossen hinter Ihnen. Für die AfD-Fraktion kann ich das nach den gehörten Ausführungen leider nicht sagen.

Das Zweite, was ich Ihnen mitgeben möchte, ist: Das Friedensabkommen von Dayton hat die ethnische Spaltung im Staat Bosnien-Herzegowina leider zementiert. Wenn wir heute sehen, welche Blockaden es entlang ethnischer Spaltung gibt, dann müssen wir feststellen: Das ist ein Problem. Drei Völker, zwei Entitäten, ein Staat – diese Idee ist in dieser Form gescheitert. Als Beispiel sind hier die Urteile vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte genannt worden. Wir unterstützen Bosnien-Herzegowina auf dem Weg in die Europäische Union. Wir unterstützen es auch bei der schweren Aufgabe, die Verbrechen anzuerkennen, die Vergangenheit aufzuarbeiten und die Reformen umzusetzen, die es braucht, um voranzukommen.

Meine Damen und Herren, ich möchte einen dritten Punkt anführen, der mir ebenfalls sehr wichtig ist. Wir begehen den 30. Jahrestag des Friedensabkommens von Dayton. Es sind aber auch 25 Jahre seit der UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“ vergangen. Beide Ereignisse sind direkt miteinander verbunden. Wenn man sich vor Augen hält, dass systematische Vergewaltigungen – ein Kriegsverbrechen – eingesetzt wurden, dann ist es nur folgerichtig, dass wir diese Verbrechen in der internationalen Gemeinschaft ahnden, thematisieren und dafür sorgen, dass die Verbrecher vor Gericht gestellt und verurteilt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Linken und des Abg. Knut Abraham (CDU/CSU))

In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich die Nachbarstaaten Serbien und Kroatien dringend dazu aufrufen, die War Crimes Chamber in Sarajevo bei der Strafverfolgung der weiterhin offenen 300 Fälle zu unterstützen. Es kann nicht sein, dass hier Fälle offenbleiben. Es muss zum Teil der Aussöhnung werden, dass wir dies anerkennen.

Lassen Sich mich noch einen letzten Punkt machen. Auch das ist eine Lehre aus dem Friedensabkommen von Dayton. Sie können nicht innerhalb von drei Wochen im Annex 4 eine Verfassung schreiben. Das ist die vierte und die gute Nachricht: Es gibt eine starke Zivilgesellschaft in Bosnien-Herzegowina, in allen Landesteilen, in allen Ethnien. Deswegen: Hören wir auf diese Leute! Setzen wir uns dafür ein, dass sie eine Stimme finden! Ich bin mir sicher, dass sie eine Verfassung für dieses Land schreiben können, die dieses Land verdient hat.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Linken und des Abg. Knut Abraham (CDU/CSU))