Rede im Deutschen Bundestag vom 07. November 2025: Aktuelle Lage im Sudan.

SudanRede
© Deutscher Bundestag

Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Was seit 2,5 Jahren im Sudan passiert, ist eine humanitäre Katastrophe von unfassbarem Ausmaß. Und es ist ein Blutbad mit Ankündigung. Monatelang war al-Faschir im Westen des Sudan belagert, abgeschnitten von Nahrung, Wasser, Medikamenten, von jeder Form von Hilfe. Ich habe erst neulich den Länderdirektor des Norwegian Refugee Council getroffen. Im September ist den Menschen die Nahrung ausgegangen; sie haben Tiernahrung zu sich genommen. Im Oktober war auch die zu Ende, und die Menschen haben Blätter abgekocht. Meine Damen und Herren, die Stadt war am Ende. Die Rapid Support Forces haben eine Stadt mit einer völlig ausgehungerten Bevölkerung eingenommen. Es gab schlicht keine Lebensmittel mehr. Und jetzt – das muss man deutlich sagen – herrscht dort die nackte Gewalt.

Wenn ich das sagen darf: Ich habe vor 20 Jahren schon zu Darfur am Strafgerichtshof gearbeitet. Wir haben uns mit den Dschandschawid beschäftigt. Das waren Reiterhorden, die marodierend durch das Land gezogen sind. Und wenn ich heute sehe, was bei Al Jazeera über den Äther läuft: Wir sind live dabei und sehen, welche Massaker dort verübt werden. Meine Damen und Herren, es ist jetzt unsere Aufgabe – danke, Adis Ahmetovic, dass du das gerade so gesagt hast -, zu handeln. Wir brauchen sicheren, ungehinderten Zugang für Hilfslieferungen von Lebensmitteln, Sicherheit für die Zivilbevölkerung und bitte auch Schutz für die humanitären Helferinnen und Helfer.

Nach der Einnahme der Stadt sind Zehntausende Menschen nach Tawila geflohen, 60 Kilometer entfernt. Unter denen, die es dahin geschafft haben, sind viele Kinder. Überlebende schildern, wie Menschen in al-Faschir nach Geschlecht, Alter und wahrgenommener ethnischer Zugehörigkeit getrennt werden. Die Ermordungen richten sich also erneut gegen nicht-arabische Volksgruppen. Meine Damen und Herren, das ist genauso wie vor 20 Jahren: Die Dschandschawid waren damals auf Pferden unterwegs, heute sind es Pick-ups. Der Vorsatz zur Auslöschung ist wieder gegeben.

Erst vor wenigen Tagen hat der Internationale Strafgerichtshof den damaligen Anführer Abd-Al-Rahman wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen. Meine Damen und Herren, wenn wir über internationale Gerichtsbarkeit sprechen, dann lassen Sie uns diese auch stärken. Der Internationale Strafgerichtshof muss handeln können; den müssen wir stärken. Und wenn wir heute sehen, dass Leichen verbrannt werden, dann ist das nicht nur das Auslöschen einer Kultur, dann ist das auch das Vernichten von Beweisen. Das passiert mit Vorsatz, und dagegen müssen wir uns wehren.

Meine Damen und Herren, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Es ist wieder so, dass Frauen und Mädchen von den Verbrechen besonders betroffen sind. Ich finde, wir sollten uns klarmachen, dass die Kriegsparteien dort – und ich sage jetzt nicht: eine Seite allein – vorsätzlich und gezielt eine gesellschaftliche Gruppe ins Visier nehmen und sexualisierte Gewalt gegen diese anwenden, um die Moral in der Gesellschaft zu zerstören. Es ist unerträglich, das anzuschauen. Auch deswegen muss uns interessieren, was dort passiert. Deswegen brauchen wir dort starke Vereinte Nationen; wir haben vor einer Stunde darüber geredet.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt machen, den ich sehr wichtig finde. Frau Staatsministerin, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie gereist sind und dass Sie auch entsprechend berichten. Aber ich möchte deutlich machen: Die 16 Millionen Euro mehr, die Sie gerade genannt haben, sind nicht genug. Ich weiß, dass sich Geld nicht von alleine druckt; aber wir haben im letzten Jahr 325 Millionen Euro für diese Region ausgegeben. Ich bitte Sie wirklich inständig, in den Haushaltsberatungen die humanitäre Hilfe noch mehr aufzustocken.

Wir brauchen diese Mittel, um den Menschen dort vor Ort zu helfen. Wir machen uns mitschuldig, wenn wir wegschauen. Ich will daraus kein Politikum machen. Ich will mich hier nicht mit Rechthaberei oder sonst irgendetwas profilieren. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, entsprechendes Geldmittel, einen entsprechenden Fonds gemeinsam auf den Weg zu bringen, zusammen mit internationalen Partnern und zusammen mit der internationalen Gemeinschaft in Form der Vereinten Nationen.

Allerletzter Punkt. Es darf auch keine Chance auf Straflosigkeit geben. Das betrifft die Verbrecher, die dort vor Ort gehandelt haben, das betrifft aber genauso diejenigen, die Waffen geliefert haben. Meine Damen und Herren, sie haben Blut an den Händen. Und das sind nicht nur die VAE, nicht nur die Türkei, nicht nur Iran, das sind auch viele Anrainerstaaten, die das möglich gemacht haben. Darüber müssen wir reden. Es kann Missbrauch sein, es kann Missverständnis sein. Aber es gibt von meiner Seite kein Verständnis für eine Chance auf Straflosigkeit. Deswegen bin ich hier im Deutschen Bundestag, und ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Unterausschuss.

Vizepräsident Omid Nouripour:

Erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD?

Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nein, das tue ich nicht, weil meine Redezeit jetzt auch schon abgelaufen ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Rothfuß (AfD))

Ich möchte den Punkt gerne zu Ende bringen. – Deswegen bin ich hier: weil ich genau das bearbeiten möchte, mit Ihnen zusammen. Lassen Sie uns zusehen, die humanitäre Hilfe und die internationale Strafgerichtsbarkeit zu stärken!

Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vizepräsident Omid Nouripour:

Für eine Kurzintervention erteile ich das Wort der Abgeordneten Rathert von der AfD.

Dr. Anna Rathert (AfD):

Ich danke Ihnen sehr, Herr Präsident, für die Erteilung des Wortes. – Mir geht diese Debatte wirklich sehr nahe. Ich habe eigentlich allen Reden sehr intensiv zugehört. Und der Gedanke, der mir jetzt immer wieder durch den Kopf gegangen ist, ist: Wir debattieren heute ein Thema, das ja offensichtlich die Konsequenz einer jahrzehntelangen falschen Außenpolitik bzw. falschen internationalen Politik, wohl auch der Vereinten Nationen, ist.

Meine ganz konkrete Frage jetzt an Sie, Herr Kollege, oder wer immer sie beantworten möchte: Wann wollen Sie einmal in sich gehen und sich fragen, was eigentlich grundsätzlich falsch läuft in der Politik, die Sie ja in den Vereinten Nationen, aber auch hier in Deutschland massiv beeinflussen und bestimmen, dass es zu solch entsetzlichen, wie wir ja jetzt wirklich detailliert gehört haben, Kriegen und Konflikten weltweit immer wieder kommt?

Vizepräsident Omid Nouripour:

Möchten Sie erwidern, Herr Abgeordneter? – Ja, Sie möchten. Bitte.

Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das ist jetzt die Antwort auf die Frage, warum wir in die Abgründe menschlicher Natur blicken. Wir selber haben in unserer Geschichte Verbrechen begangen, die in einer Dimension stattgefunden haben, die wir uns heute nicht mehr vorstellen können. Wir leben in einer Gesellschaft, die damit umgeht, die die Erinnerungskultur hochhält und die versucht, in der Welt damit ein Beispiel zu geben, dass sich so was nicht wiederholt. Wir sind alle angetreten, mit diesem Vorsatz in der Welt und auch in den Vereinten Nationen gemeinsam zu handeln.

Schütteln Sie bitte nicht den Kopf, Frau Rathert! Sie haben mich danach gefragt, wo es herkommt. Ich versuche, Ihnen das zu beantworten. Ich kann es Ihnen nicht vollständig erklären, weil ich nicht in diese Abgründe, nicht in die Köpfe der Menschen schauen kann. Ich stelle fest, was passiert: in Darfur genauso wie Myanmar, genauso wie in Haiti, genauso wie im Osten des Kongo oder an anderen Orten auf der Welt.

Jetzt können Sie sagen: Es ist die Schuld der Vereinten Nationen, dass das passiert. – Ich sage aber: Es ist unsere Aufgabe, die Vereinten Nationen so auszurüsten, dass sie dort zum Beispiel mit einer Mission präsent sind, um Sicherheit zu gewähren. Sie wollen „Deutschland first“. Sie wollen zurück an den Ofen, die Decke über den Kopf ziehen und die Augen zumachen, anstatt sich in der Welt zu verhalten und dafür zu streiten, dass Straftäter zur Rechenschaft gezogen werden, dass Mädchen und Frauen auf der Welt geschützt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ja, es ist ekelhaft, sich das anzuschauen. Aber es ist notwendig, nicht die Augen zuzumachen, sondern zu handeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)