Von: Christine Dankbar
Der EU-Beitritt Serbiens stockt, weil das Land nicht daran arbeitet, europäische Standards zu erfüllen. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt, Russland ist ein wichtiger Handelspartner des Staates. Grünen-Politiker Boris Mijatović fordert ein klares Signal aus Europa.
Serbien hat bei seinen Reformen auf dem Weg in die Europäische Union an Tempo verloren. Das kann man dem Länderbericht der Europäischen Kommission entnehmen, der Anfang November vorgestellt wurde. Auch die Bundesregierung ist deswegen besorgt – vor allem, was die dortige Medienlandschaft betrifft.
Das geht aus der Antwort auf eine schriftliche Anfrage ans Auswärtige Amt hervor, die der Bundestagsabgeordnete Boris Mijatović (Bündnis 90/Die Grünen) gestellt hat und die der Frankfurter Rundschau vorliegt. Mijatović war gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen und Vorsitzenden des Europaausschusses des Bundestages, Anton Hofreiter in der vergangenen Woche nach Belgrad gereist.
Die Gespräche, die die beiden Politiker dort mit Studierenden, Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und auch mit Abgeordneten des Parlaments führten, veranlassten Mijatović zur Nachfrage über die Auswirkungen russischer Propagandakanäle auf die Meinungsbildung in Serbien. Dort dürfen Sender wie RT und Sputnik noch immer frei operieren. Auch ist Serbien nach wie vor Handelspartner von Russland, vor allem auf dem Energiesektor.
Auf die Frage, wie das Auswärtige Amt angesichts der Lage in Serbien dessen EU-Beitrittschancen bewertet, antwortet Staatssekretär Bernhard Kotsch deutlich: Russland setze sich in Serbien aktiv gegen die EU-Annäherung des Landes ein – „durch die gezielte Verbreitung von Desinformation und Informationsmanipulation“, schreibt Kotsch. Die Bundesregierung verfolge diese Entwicklungen genau. Was den EU-Beitritt betrifft, befinde sich Serbien „aktuell inmitten dieses Prozesses“.
Das Auswärtige Amt wird noch deutlicher: Im Beitrittsprozess spielten rechtsstaatliche Kriterien wie Meinungs- und Pressefreiheit sowie Medienpluralismus eine zentrale Rolle, heißt es weiter. Diese seien für die Bundesregierung nicht verhandelbar.
„Gewalt und Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten und Mitglieder der Zivilgesellschaft sind inakzeptabel und müssen lückenlos aufgeklärt werden“, heißt es weiter. „Die Bundesregierung fordert Serbien deswegen klar zu entsprechenden Fortschritten auf, um sich an die europäischen Standards anzugleichen.“ Hintergrund sind die fortgesetzten Proteste in Serbien, die nach dem Einsturz des Vordaches des Hauptbahnhofs von Novi Sad aufflammten. Bei dem Unglück am 1. November 2024 kamen 16 Menschen ums Leben. In den anschließenden Protesten wird den Verantwortlichen Korruption vorgeworfen, die zu Baumängeln geführt hätten.
Die Demonstrationen halten auch nach einem Jahr noch an – wobei Protestierende und unabhängige Medien dem Präsidenten Aleksandar Vučić massive Einschüchterung vorwerfen. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ spricht von mindestens 89 Übergriffen auf Journalist:innen seit Beginn der Proteste. Serbien ist im Ranking der Pressefreiheit von Platz 59 im Jahr 2017 auf Platz 96 in diesem Jahr abgerutscht.
Boris Mijatović ist daher der Meinung, dass die Europäische Union die Beitrittsverhandlungen mit Serbien keinesfalls ins nächste Stadium heben darf. „Solange die fundamentalen Probleme in Serbien nicht geklärt sind, kann das Land nicht den nächsten Schritt in den Beitrittsverhandlungen gehen“, sagte der Grünen-Abgeordnete der Frankfurter Rundschau.
Insgesamt bewerben sich auf dem Westbalkan sechs Länder um die Aufnahme in die EU: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Mijatović sieht in Nordmazedonien die größten Fortschritte in Richtung Beitritt. Auch Albanien und Montenegro seien gut vorangekommen.
Insgesamt werde die Region angesichts der großen Krisen jedoch zu wenig beachtet von der Bundesregierung, auch wenn Außenminister Johannes Wadephul (CDU) alle sechs Länder in der vergangenen Woche auf einem Kurztrip besucht hatte. Mijatović fordert daher die Einsetzung eines Sondergesandten, der sich nicht nur in der Region effektiver vernetzen, sondern auch einen besseren Kontakt zur EU-Kommission herstellen könne: „Wir dürfen die Länder an unserer Südostflanke nicht dem Einfluss Russlands überlassen.“
Quelle: https://www.fr.de/politik/kommen-gruene-fordern-stopp-serbien-darf-wegen-pressefreiheit-nicht-weiter-94060759.html
