Rede im Deutschen Bundestag am 05. Juni 2025: Aktuelle Stunde zur humanitären Katastrophe in Gaza

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Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Gesandter Arafeh! Die Bilder aus Nahost haben sich tief in unser Gedächtnis eingebrannt: das brutale Massaker vom 7. Oktober und die Bilder in Gaza der letzten 20 Monate. Die Geiseln müssen aus den Händen der Hamas freikommen, die Waffen müssen schweigen. Nur so können die Menschen in Gaza vernünftig versorgt werden. Dieser Wunsch eint uns alle hier im Bundestag, in Europa und in vielen anderen Ländern auf der Welt.

Doch die Lage in Nahost verbleibt in der Eskalation. Vor wenigen Tagen wurden 27 Menschen auf dem Weg zu einer Verteilstation für Lebensmittel erschossen. Der Nothilfekoordinator der UN, Tom Fletcher, bringt es auf den Punkt – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -: Die Welt sieht Tag für Tag dabei zu, wie Palästinenser getötet werden, während sie einfach nur versuchen, zu essen.

Meine Damen und Herren, ich fasse mal zusammen, was hier eigentlich von allen Fraktionen genannt wurde: Das ist nicht nur eine Katastrophe, das Blockieren von humanitärer Hilfe ist eine fundamentale Verletzung des humanitären Völkerrechts.

Die vollständige Abriegelung von Gaza durch die israelische Regierung, dauerte ab 2. März über zehn Wochen – über zehn Wochen, in denen keinerlei humanitäre Güter, zur Zivilbevölkerung gelangten, keine Lebensmittel, keine medizinischen Güter und vieles mehr. Erst am 19. Mai, auf massiven internationalen Druck, wurde ein Zugang wiedergeöffnet – für eine Handvoll Lkws. Meine Damen und Herren, es ist offensichtlich, dass das nicht reicht.

Ich appelliere an dieser Stelle an die Regierung in Israel, die humanitäre Hilfe, die vor den Toren des Übergangs Kerem Schalom bereitsteht, freizugeben. Glauben Sie mir bitte, dass es mich persönlich schmerzt, das zu sagen, aber: Wer humanitäre Hilfe in dieser Weise blockiert, bricht mit Grundsätzen, die wir vereinbart haben. Diese Grundsätze sind wichtig; die müssen wir verteidigen. Die Bundesregierung muss sich mit den internationalen Partnern noch stärker dafür einsetzen, dass die Hilfslieferungen durch bewährte Akteure verteilt werden. Diese stehen bereit, und wir müssen uns dafür starkmachen, dass das passiert.

Denn was wir in Gaza erleben, wirkt weit über die Region hinaus. Das System der humanitären Hilfe steht massiv unter Druck; die Vereinten Nationen stehen massiv unter Druck. UNRWA ist immer noch eine Organisation der Vereinten Nationen, meine Damen und Herren. Ihr Mandat wird alle drei Jahre in New York beschlossen. Wenn man sie nicht mehr haben will, dann muss man sich dort dafür starkmachen und nicht in Nahost. Nahezu alles, was wir zum Völkerrecht und zur internationalen Ordnung vereinbart haben, wird aktuell infrage gestellt und massiv angegriffen. Deswegen ist es so gefährlich, dass versucht wird, diese etablierten Strukturen durch Parallelsysteme zu ersetzen.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: die Gaza Humanitarian Foundation. Meine Damen und Herren, es ist in der Szene der humanitären Hilfsorganisationen bzw. der internationalen Organisationen die einhellige Meinung, dass diese Organisation nicht unabhängig ist, dass sie unter militärischer Kontrolle arbeitet. Statt 400 Verteilzentren hat sie gerade mal vier aufgemacht. Und es wurde gerade schon davon geredet, dass diese gestern geschlossen waren, weil sie renoviert werden mussten. Ganz ehrlich, so arbeitet man bei den Vereinten Nationen nicht. Ich fände es besser, wenn humanitäre Hilfe weiterhin durch die Vereinten Nationen geleistet wird.

Denn am Ende untergräbt das auch das Vertrauen der Menschen vor Ort. Die humanitäre Hilfe ist in vielen Bereichen dieser Welt der einzige Hoffnungsschimmer, den es noch gibt.

Ich gebe Ihnen noch ein Beispiel für den Angriff auf das Völkerrecht und die internationale Ordnung. Gestern Nacht ist im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution zu Gaza mit 14 : 1 abgelehnt worden. Die Vetomacht USA hat dagegen gestimmt. Die Äußerungen der US-Botschafterin sind bezeichnend. Die UN ist ein System, das sich überlebt hat: Meine Damen und Herren, diese Auffassung der Vereinten Nationen aus dem Munde einer US-Botschafterin, die das System der Vereinten Nationen infrage stellt, ist brandgefährlich. Ich appelliere an sie, sich daran zu erinnern, dass wir uns hier für Menschen starkmachen, die ihr Leben riskieren. Wir reden über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von UN-Organisationen, die in Gaza gestorben sind. Wir reden über 1 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des medizinischen Personals, die dort gestorben sind.

Meine Damen und Herren, die Welt guckt auf uns. Deswegen: Stehen wir zusammen! Ich appelliere an die Bundesregierung, sich nicht nur für die Menschen in Gaza einzusetzen, sondern für das internationale Recht, und dazu gehört eben auch das humanitäre Völkerrecht.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Quelle: Bundestag