Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Wehrbeauftragter Otte! Sehr geehrter Herr Botschafter, lieber Damir Arnaut! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Srebrenica braucht einen festen Platz in der europäischen Erinnerungskultur – ein Völkermord in einem brutalen Krieg, massive ethnische Vertreibungen, abscheulichste Verbrechen, über 100 000 Tote und das Scheitern Europas, der internationalen Gemeinschaft – es ist schon angesprochen worden -, die Schutz angeboten, aber am Ende nicht eingehalten haben. Herr Krichbaum, 60 Flugzeuge über dem Mittelmeer waren einsatzbereit und sind nicht zum Einsatz gekommen. Das muss uns zu denken geben. Wir hätten den Völkermord verhindern können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Heute unternehmen wir einen kleinen, aber wichtigen Schritt in Richtung Erinnerungskultur. Hier im Deutschen Bundestag erinnern wir an die grausamen Verbrechen von Srebrenica, die wir alle vor 30 Jahren – ich war damals 21 Jahre alt – live im Fernsehen verfolgt haben. Ich erinnere mich gut an die Bilder, wie der holländische Kommandant hilflos vor den Truppen stand. Wir wollen daran erinnern, was passiert ist, um nicht zu vergessen. Das ist schmerzhaft und doch so wichtig. Dass diese Debatte heute hier stattfindet, finde ich unglaublich wichtig. Und sie findet an der Seite der Menschen in Bosnien und Herzegowina statt,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der Linken)
egal welcher Ethnie, egal welcher Religion sie angehören. Lieber Herr Arnaut, bitte nehmen Sie das mit nach Bosnien und Herzegowina: Der Deutsche Bundestag erkennt den Völkermord von Srebrenica an.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der Linken)
Meine Damen und Herren, wir gedenken der 8 372 namentlich bekannten Opfer des Völkermordes. Ich durfte selber in diesem Bereich arbeiten. Der Begriff „Matični broj“ ist mir bis heute prägend in Erinnerung geblieben. Er ist die Bezeichnung für eine Art Sozialversicherungsnummer, über die diese Personen identifiziert werden konnten. Leichenteile mussten aus Massengräbern gesammelt und identifiziert werden. 8 372 Zeugnisse, namentlich bekannt, belegen diesen Völkermord. Das zu leugnen, ist ein Verbrechen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der Linken)
Deswegen ist so wichtig, was die UN im letzten Jahr in ihrer Resolution 78/282 verabschiedet hat. Diese Resolution legt diesen Tag als Gedenktag an diesen Völkermord fest – nicht als Gedenktag in Bosnien und Herzegowina, nicht als Gedenktag in Europa, sondern als Gedenktag weltweit. Verbrechen dieser Art dürfen nicht wieder passieren. Das ist ein Versprechen, das wir als Weltgemeinschaft in diesen Tagen jedes Jahr erneuern. Deswegen ist es so wichtig, dass dies festgelegt wurde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der Linken)
Lassen Sie mich noch einen Satz zu den Urteilen sagen, die angesprochen worden sind. Es gibt das ICTY, das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien. Es gab aber auch Verfahren am Internationalen Gerichtshof. Meine Damen und Herren, diese Verfahren legen den Grundstein für die Aufarbeitung. Staatsanwaltschaft und Verteidigung legen hier offen, was an Belegen und Erkenntnissen vorhanden ist. 8 372 Erkenntnisse – ich sage es nochmal – darüber, wer namentlich in den Massengräbern verscharrt wurde, das sind die Belege, die im Gerichtsverfahren offengelegt und diskutiert wurden. Das ist der Maßstab, mit dem wir arbeiten.
Da ich heute hier stehe, möchte ich zwei Sachen nicht vergessen. Das eine ist: Den Menschen, die an der Aufarbeitung beteiligt waren, gilt mein größter Respekt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Linken)
Es waren Forensiker/-innen, Analystinnen und Analysten und vor allen Dingen die Ermittlungsteams, die unter schwierigsten Umständen in den 90er- und Nullerjahren diese Erkenntnisse zusammengetragen haben. Herzliche Grüße an dieser Stelle an meinen norwegischen Kollegen Helge Brunborg, der maßgeblich an der Aufarbeitung beteiligt war! Ich habe größten Respekt vor dieser Arbeit, und ich möchte weiter daran arbeiten, dass wir uns hier gemeinsam daranmachen, die internationale Strafgerichtsbarkeit zu stärken.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich an dieser Stelle aber auch einen kurzen Exkurs zur politischen Situation in Bosnien und Herzegowina machen. Meldungen von einzelnen Personen mit extremen Meinungen erreichen uns; es geht um Leugnung und bestimmte Aussagen mit Vorsatz. Diese Meldungen erwachsen aus einem ethno-nationalistischem Umfeld, das wir von Deutschland aus nur schwer einschätzen können. Aber ich darf Ihnen sagen: Das Land lebt friedlicher, als hier gemeinhin angenommen wird. Es gibt Orte, an denen Massaker passiert sind; es gibt Srebrenica, den Ort, an dem der Völkermord geschehen ist. Aber es gibt ein Leben danach. Dieses Leben zu gestalten, ist wichtig, und das können diese Menschen, diese Ethnonationalisten, nicht zerstören. Das dürfen wir nicht zulassen.
Deswegen möchte ich sagen: Die Schwere der Verbrechen zu leugnen, die Verantwortung der Straftäter zu leugnen, ist an sich ein Verbrechen, das wir ahnden müssen. Deswegen bin ich dem ehemaligen Hohen Repräsentanten dankbar, dass er dies als Verbrechen ausgewiesen hat, und deswegen unterstütze ich die Strafverfolgung der bosnisch-herzegowinischen Kolleginnen und Kollegen in der Justiz darin, das zu ahnden. Das ist wichtig für die Aussöhnung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Linken)
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Sache erwähnen, die auch Folge des Völkermords von Srebrenica ist: die UN-Resolution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“. Die UN feiert in diesem Jahr 25-jähriges Bestehen dieser Resolution, die fünf Jahre nach den schrecklichen Ereignissen am 11. Juli 1995 zustande kam. Sie basiert im Wesentlichen auf den Erfahrungen aus den brutalen Völkermorden in Bosnien und Herzegowina, aber auch in Ruanda, und entfaltet Wirkung in der Welt, indem sie Frauen in den Mittelpunkt stellt, auch in diesem Konflikt. Sie haben es eben gesagt, Frau Möller. Vielen Dank dafür! Ich stelle mir die Frage: Was wäre eigentlich in Dayton, auf dem Luftwaffenstützpunkt in Ohio, entschieden worden, wenn Frauen dort mit am Tisch gesessen hätten? Meine Damen und Herren, das ist nichts, worüber man lacht, das ist nichts, bei dem man wegguckt. Das ist etwas, bei dem man hinguckt. Deswegen, lieber Herr Außenminister, bitte ich Sie, diesen Kurs, die Beteiligung von Frauen an Aussöhnung, an politischen Imperativen und an politischen Verhandlungen, fortzusetzen. Das ist wichtig für unsere Weltgemeinschaft. Das ist auch eine Erfahrung aus diesem Gedenktag. Ich bitte Sie darum.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Ellen Demuth (CDU/CSU))
Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch etwas sagen, was mir ebenfalls sehr wichtig ist. Ich unterstütze viele Organisationen, zum Beispiel Medica Mondiale, die in Srebrenica angefangen haben und die sich gerade um die Anliegen der Frauen kümmern. Ich unterstütze aber auch eine vermeintlich kleine Einrichtung in Mostar. Wenn Sie also im Sommerurlaub die alte Brücke in Mostar überschreiten, gehen Sie ein paar Meter weiter in die Straße „Maršala Tita“. Dort, neben dem Pavarotti Music Center, ist die Mostar Rock School. Meine Damen und Herren, Sie können sich nicht vorstellen, wie toll diese Einrichtung ist. Dort ist es völlig egal, welche Nationalität oder Religion die Menschen haben, wenn sie an der Gitarre sitzen und ihren Einsatz haben. Junge Menschen lernen dort, gemeinsam Musik zu machen. Deswegen bitte ich Sie: Unterstützen Sie diese Schule mit einem Besuch, mit Ihrer Aufmerksamkeit! Sie hat es verdient. Es sind solche Projekte, auf die wir gucken müssen. Sie führen ein Land in Aussöhnung, machen Erinnerung lebendig, und sie geben eine Zukunft, meine Damen und Herren.
Ich bin in einem Land mit solchen Erfahrungen aufgewachsen. Dieses Land heißt Bundesrepublik Deutschland. Ich habe in diesen Organisationen gelernt, was Zukunft heißt. Ich bitte Sie darum: Geben wir das auch Bosnien und Herzegowina!
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der Linken)
Quelle: Bundestag
