2. Rede vom 22.06.2022 Westlicher Balkan

Rede : Westlicher Balkan

Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, am wichtigsten ist, am Anfang festzustellen, dass wir heute überhaupt über die Region des westlichen Balkans, über die Länder des ehemaligen Jugoslawiens, sprechen. Ich komme gerade aus Sarajevo und kann Ihnen sagen: Die Leute verfolgen dort sehr genau, was wir hier besprechen und welche Anträge von welcher Fraktion vorgelegt werden. Es ist wichtig, dass wir über diese Region sprechen. Angesichts des Angriffskriegs Russlands in der Ukraine sind einige Fragen auf dem Tisch. Sie sind – so sagen es mir die Leute, die ich gestern Abend noch getroffen habe – eher ein Push. Die Leute, die an demokratische Veränderungen glauben, fühlen sich ermutigt, weiter zu kämpfen und weiter für den Weg nach Europa zu streiten. Berlin interessiert sich wieder für den Balkan. Das müssen wir heute nach 16 Jahren CDU-geführter Regierung feststellen. Herr Dr. Wadephul, es ist wichtig, dass wir an dieser Stelle einhaken und noch mal einzeln die Länder in Ihrem Antrag durchgehen, um zu sehen, was sich dort an Veränderung getan hat. Das ist nämlich eine Schwäche Ihres Antrags, wenn ich das so sagen darf. Sie verurteilen die Länder pauschal und übersehen dabei, dass es eben keine „latente Instabilität“ gibt. Es gibt sehr wohl positive Entwicklungen, und diese würde ich gern einzeln mit Ihnen durchgehen. Da ist das Beispiel Montenegro. Das Land hat sich aufgemacht und Fortschritte erzielt. Sie haben einen demokratischen Wechsel erlebt, wie wir ihn im September hatten. Das hat Montenegro auch geschafft. In Podgorica steht die neue Regierung für einen klaren proeuropäischen Kurs; für den sind sie auch gewählt worden. Wenn Sie von „latenter Instabilität“ reden, dann möchte ich erleben, wenn Sie das den Leuten in Podgorica erklären. Das ist falsch, und das müssen wir an der Stelle richtigstellen. Schauen wir auf Nordmazedonien und Albanien. Beide Länder haben die ihnen gestellten Aufgaben erfüllt. Wir haben pandemiebedingt zwei Jahre lang Reiseaktivität und Verbindung im persönlichen Austausch sicher nicht zum Besten gehabt; das müssen wir feststellen. Aber wir haben erlebt, dass diese Länder durchaus mit hoffnungsfrohen Regierungen an den Start gegangen sind, schwierige Reformen in Angriff genommen. Deswegen ist es so wichtig, jetzt mit beiden Ländern diesen Schritt zu gehen. Es ist unsere Aufgabe als Europäer – da bin ich wieder bei Ihrem Antrag; das ist genau richtig –, dort unsere Glaubwürdigkeit zu verteidigen. Und wenn ich das sagen darf – ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar, dass Sie das eben erwähnt haben –: Die konservative Kraft GERB in Bulgarien stellt sich in Sofia diesem Wechsel. Es ist Präsident Radew gewesen, der, ich glaube, gestern gesagt hat: Wir wollen hier die Tür aufmachen. Es muss eine europäische Perspektive geben. Der Einzige, der sich freuen würde, wenn das scheitert, sitzt in Moskau. Ich kenne die Entscheidung zur Regierung Petkov aktuell nicht. Ich glaube, es wird dieser Stunde entschieden, ob es einen Misstrauensantrag geben wird. Wenn dieser durchkommt, stünden die vierten Wahlen in etwas mehr als zwölf Monaten bevor. Das wäre eine Situation, in der wir in den Parteienfamilien gucken müssen, dass wir demokratische Kräfte unterstützen. Kommen wir zu Bosnien und Herzegowina. Hier gibt es natürlich Schwierigkeiten; das lässt sich nicht leugnen. Wenn man sich anschaut, wie viele politische Prozesse in dem Land blockiert werden, dann muss man deutlich sagen: Hier tritt Instabilität am ehesten zutage. Wenn ich mir dann aber anschaue, mit welcher Kraft die Leute immer noch an eine Perspektive glauben, dann ist es gut, dass wir von Deutschland aus mit unserem Antrag der Koalition sehr deutlich machen, was wir dort wollen. Es sind eben nationalistische Kräfte, die im Haus der Völker die Prozesse blockieren. Ein Integrity Package, ein Integritätspaket, das auf den Weg gebracht werden sollte, um Wahlen vor Betrug zu schützen – wirklich ein technischer, kein politischer Vorgang –, wird blockiert, und zwar von allen drei großen Parteien. Das kann nicht sein, meine Damen und Herren. Deswegen bin ich Christian Schmidt sehr dankbar, dass er das Paket zur Unterstützung der Durchführung der Wahlen auf den Weg gebracht hat. Gestern sagte mir eine Beraterin: Der Spitzname für das Haus der Völker sei im Volksmund mittlerweile „der Friedhof der demokratischen Ideen“. – Das muss uns interessieren. Wir müssen das angehen und Bosnien-Herzegowina auf diesem Weg ebenfalls unterstützen. Serbien und Kosovo wurden angesprochen. Wir kommen gleich noch zu KFOR. Ich glaube, dass der Bundeskanzler die richtige Reihenfolge für seine Reise gewählt und dort auch die richtigen Worte gesetzt hat – übrigens eine Reihenfolge, die auch andere Leute vorgenommen haben. Sie können nicht dort loben und da kritisieren; das passt nicht zusammen. Wir müssen jetzt aber gucken, dass auch für Kosovo Entwicklungen stattfinden mit einer demokratischen Bewegung, die dort im Amt ist. Natürlich ist nicht alles von heute auf morgen gut. Aber es sind Kräfte in Pristina am Werk, die mit „Jobs & Justice“ Wahlen gewonnen, eine Mehrheit bekommen haben und jetzt daran arbeiten, dieses Land nach vorne zu bringen, und zwar proeuropäisch. Das unterstützen wir. Deswegen bin ich sehr dankbar, dass die Visaliberalisierung angesprochen wurde. Das ist etwas, was wir auf den Weg bringen sollten. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz zum Schluss noch eine persönliche Anmerkung machen. Wie gesagt, ich komme gerade aus Sarajevo. Dort findet am Samstag um 15 Uhr die Pride-Parade statt. Ich habe die Leute getroffen. Sie führen sie jetzt zum dritten Mal durch. Das sind tolle Leute. Die sind wirklich mit Herzblut dabei. Wenn Sie die Umgebung ein bisschen einschätzen können, dann wissen Sie, dass das der Kampf aus den 70er-Jahren ist. Es ist noch richtig Kärrnerarbeit, dort eine Pride auf die Beine zu stellen. Ich bitte Sie daher, in Ihren Social-Media-Kanälen für die Pride am Samstag um 15 Uhr in Sarajevo zu werben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.