Rede im Deutschen Bundestag am 29.03.2023 : Ein Jahr nach Bucha – für Gedenken und strafrechtliche Aufarbeitung

Meine Rede im Deutschen Bundestag am 29.03.2023 / Quelle : Bundestag.de

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! 458, 458 Leichen, 458 Leichen wurden in Butscha vor einem Jahr gefunden. 419 davon wiesen massive Spuren von Folter, Vergewaltigungen, Exekutionen auf; wir haben es eben schon gehört. Dieser 458 Opfer an nur einem Ort eines brutalen Krieges, der symbolisch für so viele Orte in der Ukraine steht, wollen wir heute gedenken. Ihrer und der Opfern in vielen anderen Orten in der Ukraine – in Irpin, in Borodjanka, in Mariupol; es gibt so viele Namen – müssen wir gedenken, um zu verhindern, dass sich so etwas wiederholt.
Wir können die Opfer von Butscha und in den vielen anderen Orten nicht wieder lebendig machen; aber es ist unsere Verantwortung, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Unsere Aufgabe in der internationalen Gemeinschaft ist es, die Fakten zu ermitteln und gegen die Täter vorzugehen. Und dass wir diese Fakten kennen, haben wir ermöglicht. Frau Vogler, wir haben Geld dafür zur Verfügung gestellt, finanzielle Hilfen geleistet, Überweisungen getätigt. Wir haben Personal entsendet. Wir haben geholfen, die Fakten zu ermitteln. Die Zahl der 458 Opfer von Butscha kennen wir, weil wir sie ermittelt haben. Es ist das wichtigste Element für eine Strafverfolgung, dass wir Fakten ermitteln, die Täter in einem fairen Prozess vor Gericht bringen und sie dann dieser Taten überführen. Dafür kämpfen sehr viele Leute in diesem Hause. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dem anschließen.
Es ist eben schon von unserer Menschenrechtsbeauftragten Luise Amtsberg gesagt worden – ich möchte mich diesem Dank ausdrücklich anschließen -: 458 Leichen zu exhumieren, forensisch zu untersuchen, die Gewalt, die diesen Menschen widerfahren ist, zu untersuchen, ist keine Aufgabe, die leicht von der Hand geht. Genau deswegen finde ich es so wichtig, den Ermittlerinnen und Ermittlern vom Internationalen Strafgerichtshof, aber auch den vom Zentrum für Internationale Friedenseinsätze sekundierten Personen von so vielen Orten zu danken. Mein Dank geht an dieser Stelle an Sie, während ich an die Hinterbliebenen dieser Verbrechen denke.
Auch dank dieser Arbeit, durch ausgewertete Aufnahmen, Funksprüche und militärische Ausrüstung, wissen wir von den Soldaten, die für das Massaker von Butscha verantwortlich sind, wissen, warum sie es getan haben, wissen von demoralisierten Soldaten, die, frustriert über die russische Niederlage in Kiew, einen zügellosen Rachefeldzug gegen die ukrainische Zivilbevölkerung geführt haben, wissen von Ukrainerinnen und Ukrainern – das Beispiel von Mychailo auf dem Fahrrad ist angesprochen worden -, die aus den Fahrzeugen heraus einfach so erschossen wurden, von Ukrainerinnen und Ukrainer, die in die Knie gezwungen und mit einem Genickschuss hingerichtet wurden, von Menschen, die mit Tränengas aus den Kellern getrieben wurden, um auf der Flucht erschossen zu werden. Meine Damen und Herren, russische Soldaten sind teilweise unter Drogen gesetzt vorgegangen und haben ukrainische Frauen brutal vergewaltigt und ermordet. Ich bin deswegen so ausführlich, weil wir in unseren Debatten häufig genug vergessen, welche Dimension der Schrecken hat.
Es ist bereits gesagt worden, dass diese Kriegsverbrechen systematisch erfolgen. Es ist bereits gesagt worden, dass dies ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Systematisch und großflächig passiert das. Das Urverbrechen – Herr Krings, Sie haben es zu Recht genannt – ist das Verbrechen der Aggression, der Überfall auf den Nachbarn. Ohne Aggression kein Butscha, ohne Aggression kein Mariupol, ohne Aggression kein Irpin, kein Borodjanka und nicht all die anderen Orte, wo sich diese brutalen Verbrechen ereignen.
Aus diesen Gründen unterstützen wir in diesem Haus mit Nachdruck das, was Annalena Baerbock Mitte Januar in Den Haag gesagt hat: Wir müssen zweigleisig vorgehen. Wir müssen die Rechtslücke im internationalen Strafrecht schließen. Wir müssen es möglich machen, dass der Internationale Strafgerichtshof diese Verbrechen der Aggression ahnden kann. Solange der angegriffene Staat Mitglied des ICC ist, muss das für eine Anklage ausreichen. Aber wir müssen auch komplementär zu der aktuellen Situation das Verbrechen der Aggression vor Gericht bringen. All dies müssen wir gemeinsam voranbringen, und da sehen Sie mich an Ihrer Seite. Da sind wir in diesem Haus auch einig.
Ich glaube fest daran: Wenn wir Aggression für künftige Generationen verhindern wollen, brauchen wir die Stärke des Rechts. Ohne Recht wird es mehr Aggression geben – nicht nur dort, sondern auch in Myanmar, auf den Philippinen, in Syrien, im Iran, im Jemen und an vielen anderen Orten. Von
daher: Lassen Sie uns gemeinsam streiten! Wir schulden es den 458 unschuldigen Menschen, die aus dem Leben gerissen wurden, diesen Menschen in Butscha.
Vielen Dank.

Quelle : https://dbtg.tv/cvid/7552125