Bündnisgrüne in Taiwan: Reisebericht

15 Jahre ist Reinhard „Büti“ Bütikofer jetzt Mitglied im europäischen Parlament. Im Sommer wird er nach der Wahl ausscheiden und hinterlässt große Fußstapfen. Eines seiner vielen politischen Engagements ist die Region Südostasien. Und wie in vielen anderen Feldern auch, hat sich Büti einen aussergewöhnliche Expertise angeeignet sowie zahlreiche Freundinnen und Freunde in der Region gefunden. Auf seiner Reise nach Taiwan durfte ich ich nun begleiten. Zusammen mit der finnischen Kollegin Heidi Hautalar, die für uns Grüne stellvertretende Präsidentin des EP ist, und Agnieszka Brugger und Till Steffen aus dem Bundestag.

Bei den vielen Termin auf unserer Reise ging es natürlich um Sicherheitsfragen in der Strasse von Taiwan, aber um die Wahlen vom 13. Januar und den Einfluss von Fake News auf den Wahlkampf. Digitale Medien spielen in Taiwan eine zunehmend grosse Rolle, und daher war es sehr spannend im Austausch mit unseren Gesprächspartner*innen aus Politik und Zivilgesellschaft zu erfahren, wie die zahlreichen Angriffe in den Sozialen Medien so wenig Einfluss auf politische Debatten im Wahlkampf nehmen konnten. Eine verkürzte und recht einfache Antwort: Die taiwanische Gesellschaft achtet stärker auf die Qualität von Information. So sind platte Vorwürfe gegen Kandidaten wenig beachtet worden. Ebenso konnten Narrative, wie Liebschaften einzelner Abgeordneter mit Festland-Geliebten eben keine negativen Wellen für die ganze Partei entfachen.

Ein weiteres erstaunliches Ergebnis der Wahlen ist auch: die Polarisierung, die üblicherweise zum Wahltag hin zunimmt, konnte in Wählerbefragungen diesmal nicht festgestellt werden. Das liegt vielleicht auch daran, dass alle drei Parteien etwas für sich als Gewinn erklären konnten: die regierende DPP stellt weiterhin den Präsidenten, die KMT (Kaomintang) wurde stärkste Kraft im Parlament (Legislativ Yuan) und die neue Taiwan People Party (TPP) konnte ein sehr gutes Ergebnis einfahren und ist jetzt um Parlament „Zünglein an der Waage“), weil die beiden grossen Parteien jeweils keine absolute Mehrheit erzielen konnten.

Spannend war im Gespräch mit Digitalministerin Audrey Tang auch, dass Taiwan bereits heute sehr stark auf digitale Mittel in der Politik setzt. So gab es einen online tagenden Bürger*innen-Rat. Dieser wurde digital gelost und zusammengesetzt und konnte gute Ergebnisse für politische Fragestellungen erbringen. Auf die Frage, ob Ministerin Tang denn Referenden befürworten würde, war die Antwort: Ja, aber nicht am Wahltag mit anderen Wahlen (Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen). Das verfälsche die Aufmerksamkeit, was im politischen System Taiwans noch mal eine besondere Situation ist.

Beim Treffen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen aus dem Umweltschutz und Menschenrechte traf ich auch Hsinyi Lin wieder. Sie arbeitet in Taiwans Allianz zur Abschaffung der Todesstrafe und wir hatten schon of Austausch. Letztes Jahr war sie sogar mit einigen Mitstreiter*innen in Deutschland und wir konnten mit Lukas Schauder aus dem Hessischen Landtag einen Besuch in der JVA Schwalmstadt organisieren. Dort besuchte sie das sogenannte Kornhaus, in dem ältere Gefangenen zumeist mit lebenslangen Haftstrafen und Sicherheitsverwahrung ihre Haftzeit verbringen. Dies war ein wichtiger Austausch zur Frage, was ist die Alternative zur Todesstrafe und hat die Debatte in Taiwan bereichert. Herzlichen Dank noch mal an Lukas Schauder.

Aktuell ist es so, dass die Todesstrafe Teil einer Anhörung im Verfassungsgericht Ende April ist. Die Hoffnung ist gross, dass die seit vier Jahren ausgesetzten Urteilen auf Dauer nicht vollstreckt werden und das Taiwan sich den Staaten anschliesst, die auf die Todesstrafe verzichten. Das wäre ein toller Erfolg in der Menschenrechtsarbeit, an dem Lukas, sein Team, die JVA Schwalmstadt und auch mein Büro einen kleinen Anteil haben. Wir wünschen Hsinyi und ihren Mitstreiter*innen viel Kraft in den anstehenden Debatten.

Auf der Reise ging es auch sehr stark um Handelspolitik. Taiwan ist unter den Top 10 der grössten Wirtschaftsnationen der Welt, hat mit 60 bis 70% Anteil die Produktion von Halbleitern fest im Blick und verfügt über die zweitgrösste Fischereiflotte der Welt. Klar, dass es hier einige Wirtschaftsfragen gibt. Bei der Fischerei gibt es Fragen zu den Arbeitsbedingungen, bei den Halbleitern Herausforderungen beim Wasserverbrauch. Und wie jede Wirtschaft muss auch Taiwan sich überlegen wie sie mit ihren Ressourcen sorgsam umgeht. Aktuell ist Energie ein grosses Thema und das Land überlegt, ob es Kernenergie weiter nutzen will. Natürlich ist die Müllfrage nicht geklärt und das Risiko nicht ausgeräumt (Taiwan liegt auf dem pazifischen Feuerring und damit in einer von Erdbeben geprägten Umgebung). Der Ausbau von Erneuerbaren Energie läuft zwar, stockt jedoch immer öfter. Gerade bei Windkraft sind hier noch viele Potentiale zu heben, die wir aus Europa sehr gerne verkaufen würden. Andersrum haben wir auch über das Halbleiterwerk von TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Industry) in Dresden gesprochen. Und wir der wirtschaftliche Austausch zwischen beiden Partner verbessert werden kann.

Kleine Randnotiz: erneut fragen mich Wirtschaftsvertreter*innen, wann wir endlich die Standards in der Lieferkette umsetzen. Gerade in Asien sei dies ebenfalls Thema und man müsse sich ja vor dem Ausbeutungswettbewerb schützen.

Insgesamt eine spannende Reise. Ich bin dankbar, dass ich dabei sein durfte und bin begeistert von einer Demokratie, die sich den Herausforderungen stellt und nicht hinterm Ofen verkriecht. Klar ist im Land nicht alles ohne Probleme, aber schon beeindruckende Gespräche, wenn ich höre, wie der Wettbewerb gegen Fake News zu einer Art gesellschaftlicher Übung in der Praxis umgesetzt wird. Grosses Dankeschön an alle Gesprächspartner*innen.