Rede im Bundestag zum 30. Jahrestag des Kriegsbeginns in Bosnien und Herzegowina (Video und Text)

MdB Boris Mijatovic-Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen - Foto: Stefan Kaminski
MdB Boris Mijatovic-Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen - Foto: Stefan Kaminski
Rede über den 30. Jahrestag Kriegsbeginn Bosnien-Herzegowina (06.04.2022)

„Sehr geehrte Frau Präsidentin! Eure Exzellenz Frau Botschafterin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute vor 30 Jahren begann in Bosnien-Herzegowina ein schrecklicher Krieg. Uns erreichten damals – wie heute – entsetzliche Bilder von grausamen Verbrechen. Es ist unsere Aufgabe, nicht weg-, sondern hinzuschauen und die Täter und die Verantwortlichen für diese Verbrechen vor Gericht zu stellen. Dafür sind wir heute hier.

Wenn ich persönlich an den Kriegsbeginn denke, dann denke ich meist sofort an Sarajevo: die Stadt, die fast vier Jahre lang von den Hügeln um sie herum belagert und beschossen wurde, die Stadt, über die mein Vater einst sagte, sie sei die schönste auf dem Balkan, weil einige Tausend Pioniere sie aufgehübscht hatten für die Olympiade. Ich denke natürlich an Vucko, das kleine Maskottchen, das die Spiele mit dem Heulen begann. Ich war zehn Jahre alt, sportbegeistert. Für uns waren das Spiele, die uns stolz auf den Balkan machten. Das waren unsere Spiele. Sie werden sich vermutlich an Kati Witt und Jens Weißflog erinnern. Ich denke an das Finale UdSSR gegen die Tschechoslowakei im Eishockey.

Keine zehn Jahre später wurden in der gleichen Stadt 380 000 Menschen eingeschlossen. In den folgenden dreieinhalb Jahren starben 10 000 Menschen auf Straßen, auf Marktplätzen oder an Orten wie der „Sniper Alley“, der „Allee der Scharfschützen“. Das ist gerade heute eine Erinnerung, die uns mahnen muss.

Noch im März 1992 haben Zehntausende Menschen sich zusammengefunden, um für den Frieden zu demonstrieren. Noch heute erinnert das Projekt „ZETRA – Tage der Hoffnung“ daran, dass im ganzen Land viele Hunderttausend Menschen auf Konzerten für den Frieden warben. Auch dass hier viele Menschen den Kriegsdienst, die Wehrpflicht verweigerten und sich nicht auf den Weg in den Krieg machten, all das gab es, und all das war anscheinend umsonst; denn das Unvorstellbare begann an jenem 6. April vor 30 Jahren.

Aber Kriege beginnen nur scheinbar plötzlich. Kriege schleichen sich an. Stückchenweise nehmen sie sich in der Gesellschaft den Raum, vergiften Debatten mit Hass. Menschen argumentieren mit Abneigung, mit Vorurteilen. Und dann ist er plötzlich da: der Überfall, der Angriff. Scheinbar plötzlich bricht Gewalt los, aber sie hat ein Vorspiel. Der Krieg in Bosnien-Herzegowina hat sich angekündigt und nahm dann die furchtbaren Ausmaße an, von denen wir schon gehört haben. Zahlreiche Kriegsverbrechen sind dokumentiert: Zehntausendfach wurden Frauen vergewaltigt, Menschen getötet, es gab über 100 000 tote Zivilisten, den Völkermord von Srebrenica. All das zeigt, zu was Hass Menschen befähigt, und das, meine Damen und Herren, liebe Frau Botschafterin, ist der Gegenstand der heutigen Debatte. Daran müssen wir erinnern und mahnen.

Wenn wir heute auf Bosnien-Herzegowina schauen, dann tun wir das ja mit großer Sorge – über das Friedensabkommen von Dayton ist gesprochen worden –; die Friedensordnung bleibt zerbrechlich. Trotzdem müssen wir uns fragen: Was können wir tun? Dieses Erinnern, die wirksame Aufarbeitung der Vergangenheit sind das, was wir auf dem Balkan noch stärker fördern müssen. Die Zivilgesellschaft müssen wir fördern. Wenn ich heute sehe, dass Völkermörder wie Ratko Mladic in den Geschichtsbüchern oder auf irgendwelchen Wandbildern wieder als Kriegshelden gefeiert werden, dann ist das unerträglich – für die Opfer, aber auch für mich persönlich.

Ich habe noch nicht von den vielen Hundert, wahrscheinlich Tausend Kriegsverbrechern gesprochen, die immer noch nicht abgeurteilt sind, die immer noch frei herumlaufen, teilweise in den gleichen Städten wie die Opfer. Meine Damen und Herren, das ist unerträglich. Wir müssen die War Crimes Chamber, die Staatsanwaltschaft befähigen, diese Kriegsverbrecher endlich abzuurteilen. Die Beweise für die Taten sind ja da. Im Land bleibt es ein Tabuthema, das wir aufbrechen müssen, das wir anpacken müssen.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Helfen wir der Zivilgesellschaft in Bosnien-Herzegowina bei ihrer Arbeit für freie Wahlen, für ein Leben in Frieden und Stabilität, bei ihren Schwierigkeiten mit Umwelt, mit Energie, mit den ganzen Herausforderungen, damit wir auch hinterher sagen können: Wir haben alles für diesen Frieden getan.

Vielen Dank.“