Rede im Deutschen Bundestag vom 25.05.2023 : 30 Jahre Internationaler Strafgerichtshof Jugoslawien

Boris Mijatović (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute vor genau 30 Jahren wurde der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien gegründet. Die brutalen Kriege in einem zerfallenen Jugoslawien sind vielen Menschen noch heute sehr bewusst und präsent: ermordete Zivilisten in Vukovar, Mörsereinschläge auf den Marktplätzen in Sarajevo, die Lager in Prijedor, Omarska, Trnopolje, Keraterm, in der Herzegowina, im Lager Heliodrom und an vielen Orten mehr. Diese schrecklichen Ereignisse sind in die Geschichte eingegangen. Über 2 Millionen Menschen wurden vertrieben – mit dem zynischen Begriff der ethnischen Säuberung bezeichnet.

Dass wir heute so genau wissen, was damals passiert ist, dass wir diese teils sehr beklemmenden Details kennen, dass wir von den mindestens 8 000 Opfern in Srebrenica die Namen kennen, meine Damen und Herren, all das ist das Verdienst der Menschen, die an dieses Tribunal geglaubt haben, die dafür gearbeitet haben. Mein tief empfundener Respekt und Dank dafür an dieser Stelle!

Meine Damen und Herren, es ist wohl nicht übertrieben, wenn ich sage: Das Tribunal hat Rechtsgeschichte geschrieben. Es diente als Vorbild für viele weitere Gerichte wie dem für den Völkermord in Ruanda, den Sondergerichtshof für Sierra Leone und nicht zuletzt den Internationalen Strafgerichtshof, der 2002 gegründet wurde. Die Arbeit vor Ort, in der Region, ist aber auch heute, nach der Schließung des Tribunals vor wenigen Jahren, nicht beendet. In Bosnien-Herzegowina sind mindestens 270 Verfahren immer noch offen. Viele Opfer wünschen sich Aufklärung. Da müssen wir dranbleiben.

Ich darf Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Die justizielle Zusammenarbeit mit den Nachbarländern wird zunehmend schwerer. Ich finde, hier können und müssen wir als Bundesrepublik Deutschland – gerade auch mit den Erfahrungen unserer eigenen Geschichte – Hilfestellung leisten und in der Region Hilfe anbieten. Ich rufe Sie auf: Lassen Sie uns gemeinsam in Zagreb und Belgrad für die Aufarbeitung dieser Straftaten weiter werben!

Meine Damen und Herren, wir müssen uns der Aussöhnung noch stärker widmen. Wir können es nicht hinnehmen, dass Kriegsverbrecher heute in der Region an Hauswänden als Helden gefeiert werden. Wir erleben eine Wiederkehr nationalistischer Gefahren. Gerade wenn führende Politiker in der Region, wie zum Beispiel Herr Dodik, offen den Völkermord von Srebrenica leugnen, müssen wir sie in die Schranken weisen, meine Damen und Herren.

Ich möchte eine weitere aktuelle Debatte anführen, die ebenso wichtig ist: Kriegsverbrecher, die verurteilt wurden, haben ihre Haftstrafen abgesessen und kehren in die Region zurück. Eine verbüßte Haftstrafe darf aber kein Freibrief sein, Revanchismus in die Öffentlichkeit zu tragen, meine Damen und Herren. Auch darauf müssen wir achten.

Im Titel heißt es treffend: „Aufarbeitung bleibt Auftrag“. Ich danke Ihnen persönlich sehr herzlich, dass wir uns heute hier austauschen und diese Vereinbarte Debatte haben.

Vielen Dank.

Quelle : Deutscher Bundestag